WSR023 Wie Moleküle miteinander reden - Interview mit Prof. Dr. Hans-Dieter Höltje

Knapp ein Jahr ist es her, dass Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Dieter Höltje grundsätzlich etwas über Wirkstoff erzählt hat in der ersten Folge: WSR001 Was sind Wirkstoffe?. Bernd und André haben sich wieder mit Herrn Höltje getroffen und diesmal geht es darum, wie Moleküle miteinander interagieren und wechselwirken.

Portrait seitlich Prof. Dr. Hans-Dieter Höltje
Prof. Dr. Hans-Dieter Höltje

Das Interview wurde im CCO (Charité-Crossover) Gebäude der Charité aufgezeichnet und es geht um die Sprache, die Moleküle miteinander sprechen. Gemeint sind damit die verschiedenen Kräfte, die zwischen Molekülen wirken können und wie sie die Struktur des Lebens auf atomarer Ebene gestalten. Dabei werden diese Kräfte immer wieder auf das Modell Wirkstoff und Rezeptor angewandt, um genau diese Interaktion im Körper genauer kennen zu lernen. Auch die Aktivierung eines Rezeptors durch einen Wirkstoff wird besprochen und auch wie ein Rezeptor blockiert werden kann.

Bernd fasst das Ende der ersten Folge (WSR001 Was sind Wirkstoffe?) nochmal kurz zusammen. Dort war der Schlusspunkt, wie Wirkstoffe an ihrem spezifischen Rezeptor andocken und dort dann eine Aktion des Rezeptors auslösen, anders ausgedrückt: Der Schlüssel steckt im Schloss und er wurde gedreht. Diese Folge setzt an dieser Stelle an, nämlich mit der Frage, was alles nötig ist, damit es zu einer Bindung kommt und wie das „Schlüssel drehen“ denn funktioniert.

Physik, Chemie und Biologie ergibt Pharmazie

Nach Herrn Höltje kann man die Beschäftigung mit den molekularen Wechselwirkungen von Wirkstoffen am besten unter dem Begriff Pharmazie zusammenfassen. Auch im verlinkten Wikipedia-Artikel wird seine Definition des Zusammenkommens von Physik, Chemie und Biologie erwähnt.

Bei der Antwort auf die Frage von Herrn Höltje „welche Sprache sprechen Moleküle“  bewegt er sich bereits zwischen den verschiedenen Fach-richtungen. Die Interaktion zwischen den Molekülen ist Chemie, denn die Trennung zwischen Chemie und Physik ist am Aufbau der Atome festgemacht: Der Kern ist Physik, die Elektronenhülle ist Chemie, genauer die äußeren Elektronen der jeweiligen Hüllen, die Valenzelektronen. Die Bindungen innerhalb eines Moleküls sind immer kovalente Bindungen.

Wie kommunizieren Moleküle?

Wenn mehrere Moleküle sich zu einem großen Molekül verbinden, spricht man von einem Komplex – viel spannender ist allerdings der Fall, wenn die Moleküle nicht kovalent binden, sagt Herr Höltje. Für die Wechselwirkung von Molekülen untereinander gibt es verschiedene physikalische Möglichkeiten, also verschiedene Bindungsarten.

Die besprochene Ausgangssituation ist die eines Wirkstoffes, der weit entfernt vom Rezeptor ist und sich noch frei bewegen kann. Irgendwann muss es eine Erkennung geben, das heißt also der Wirkstoff „merkt“, dass dort ein Rezeptor ist, wo er gerne hingehen würde. Diese erste, sehr schwache Wechselwirkung ist die ionische Wechselwirkung oder auch Coulomb-Kraft. Und hierbei heißt „weit entfernt“ fünf Ångström oder 0,5 nm (Eine Bindung hat eine Entfernung von ein bis zwei Ångström). Durch die elektrostatische Anziehung (Coulomb-Kraft), nähert sich der Wirkstoff der Rezeptoroberfläche (<3 Å) und andere Wechselwirkungsarten fangen an, eine Rolle zu spielen. Dazu gehört die Polarisation von Ladungen und hydrophobe Wechselwirkungen. Links zu einigen Stichworten, die in diesem Teil des Gesprächs vorkommen:

Die Dipol-Wechselwirkung

Für diese Wechselwirkung ist die Elektronegativität verschiedener Elemente ausschlaggebend. Beispiele für niedrige Elektronegativität wären die Alkalimetalle wie Natrium oder Kalium und für hohe Elektronegativität wären es die Halogene (7. Gruppe des Periodensystems) wie Chlor oder Fluor. In jedem Molekül findet man Bindungen zwischen Kohlenstoff und Stickstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff oder Sauerstoff und Kohlenstoff. Die einzelnen Partner dieser Bindungen haben jeweils unterschiedliche Elektronegativitäten. Das Element mit der höheren Elektronegativität „zieht“ die Elektronen näher zu sich. Physikalisch heißt das, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen näher am elektronegativen Atom ist und so diese Seite der Bindung leicht negativ geladen ist und somit die weniger elektronegative Seite der entsprechenden Bindung leicht positiv geladen ist. In diesem Fall spricht man dann auch von einer Partialladung.

Wasser ist ein gutes Beispiel um die Dipol-Wechselwirkung zu verstehen. Wasser besteht aus zwei Wasserstoffatomen, die beide an ein Sauerstoffatom gebunden sind. Sauerstoff ist elektronegativer als Wasserstoff und so besitzt das Sauerstoffatom in einem Wassermolekül eine positive Partialladung und die beiden Wasserstoffatome eine negative Partialladung. So interagiert Wasser untereinander und bildet sehr kurzlebige Wasserstoffbrückenbindungen zwischen einem Wasserstoffatom von einem Molekül zu dem Sauerstoffmolekül eines anderen Moleküls aus. Das erklärt übrigens auch, warum Wasser flüssig ist im Vergleich zu Schwefelwasserstoff. Schwefelwasserstoff besteht aus einem Schwefelatom und zwei Wasserstoffatomen und ist gasförmig. Allerdings ist Schwefel deutlich schwerer als Sauerstoff und so sollte Wasser eigentlich auch gasförmig sein. Wegen der hohen Elektronegativität des Sauerstoffs ist Wasser aber flüssig.

Polarisation

Wenn ein Wirkstoff einen positiv geladenen Bereich besitzt und der Rezeptor leicht bewegliche Elektronen besitzt, sorgt die Annäherung des Wirkstoffs an den Rezeptor dafür, dass die Elektronen sich im Rezeptor verschieben. Es wird dabei keine Bindung aufgebrochen, es kommt lediglich zu einer Ladungsverschiebung innerhalb des bestehenden Moleküle. Dabei spricht Herr Höltje auch aromatische Verbindungen an, die die Eigenschaft haben, dass sie über delokalisierte Elektronen verfügen, also Elektronen, die nicht auf eine bestimmte Bindung um Molekül festgelegt sind. Bernd macht hierbei einen treffenden Vergleich zu einem Hamburger, wobei hier das Fleisch in der Mitte die festen Elektronen sind und die Burger-Brötchen die Elektronen, die leicht zu bewegen sind. Aromatische Verbindungen lassen sich gut polarisieren. Als Beispiel für ein Molekül, das immer ein positiv geladenes Ende besitzt, wird Acetylcholin genannt.

André bringt für die Erklärung noch das Bild einer Pusteblume für das Acetylcholin ins Spiel. Bernd und André werden versuchen, dieses Bild mit der Pusteblume und den Hamburger in für die nächste Folgen mal zu visualisieren.

Herr Höltje macht im folgenden dann nochmal die Unterschiede zwischen der Dipol-Wechselwirkung und der Polarisation deutlich.

Wasserstoffbrückenbindungen

Die Wasserstoffbrückenbindungen sind Dipol-Dipol-Wechselwirkungen, wie oben bereits im Beispiel Wasser erwähnt. Das besondere an dieser Wechselwirkung, also an der Interaktion mit einem Wasserstoffatom an einem Molekül und einem Atom mit hoher Elektronegativität eines anderen Moleküls ist, dass diese Interaktion sehr „nah“ ist, ein bis zwei Ångström. Denn bei der Wasserstoffbrückenbindung spielt nicht nur die elektrostratische Kraft eine Rolle, sondern auch eine Wechselwirkung zwischen den beteiligen Orbitalen.

Dispersions-Wechselwirkung

Wenn die Moleküle sehr nah beieinander sind, also dichter als in den oben genannten Interaktionen, kommt die Dispersion zum Tragen. Als Beispiel nennt hier Herr Höltje den Aufbau von Zellmembranen, die aus einer Doppellipidschicht besteht. Die Bausteine dieser Membran sind Fettsäuren, die keine kovalente Bindung untereinander besitzen, also auf eine andere Art und Weise zusammen gehalten werden müssen. Wenn Moleküle sich sehr nahe kommen, überlappen teilweise die Orbitale der Elektronen miteinander. Da aber Elektronen stets negativ geladen sind, werden die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten so verändert, dass die Elektronen einen möglichst großen Abstand haben. Dadurch werden ständig fluktuierende Dipole induziert, was dann zu einer anziehenden Kraft führt. Diese Wechselwirkung wird auch als London-Dispersion bezeichnet.

Herr Höltje verdeutlicht diese Wechselwirkung noch am Beispiel von Membranen und Wasser. Die Dispersions-Wechselwirkung beruht allein auf den induzierten, fluktuierenden Dipolen. Nicht zu verwechseln mit der hydrophoben Wechselwirkung. Außerdem wird die Frage geklärt, wie aus einem Fetttröpfchen eine Membran entstehen kann. Links zu Stichworten dieses Abschnitts:

Was passiert nach der Annäherung der Moleküle?

Wenn sich Wirkstoff und Rezeptor über die verschiedenen Wechselwirkungen näher gekommen sind, muss noch eine weitere Bedingung erfüllt sein: Die räumliche Form der beiden Partner muss zusammen passen, wie das bereits in WSR001 Was sind Wirkstoffe? besprochen wurde. Wenn das auch erfüllt ist, hat sich ein Wirkstoff-Rezeptor-Komplex gebildet.

Wie sich nun der „Schlüssel dreht“, also wie der Wirkstoff ein Signal an den Rezeptor weiter gibt, macht Herr Höltje am Beispiel der G-Protein-gekoppelte Rezeptoren fest, die auch schon in der ersten Folge mit Herrn Höltje zur Sprache kamen.

Ein G-Protein-gekoppelter Rezeptor ist sehr groß im Vergleich zu einem Wirkstoffmolekül (zum Beispiel Adrenalin oder Acetylcholin). Der Rezeptor besteht aus sieben Helizes, die jeweils durch die Zellmembran hindurch ragen und eine Öffnung bilden, in die ein Wirkstoff binden kann. Der ganze Rezeptor ist mindestens hundert mal größer als ein einzelnes Adrenalin-Molekül.

Wenn ein Wirkstoffmolekül sich sehr nah an den Rezeptor angenähert hat, im Fall des GPCR also in die Öffnung in der Mitte gewandert ist, wird die elektrostatische Wechselwirkung sehr stark. So stark, dass diese Kraft eine Änderung in der Struktur des Rezeptors auslösen kann. Beispielsweise knickt eine der Helizes ab oder wird auf eine andere Art verändert. Dieser Vorgang ist im Prinzip das „Drehen des Schlüssels“. Herr Höltje fügt aber an, dass man das nicht direkt sehen kann. Die Änderung an einer Stelle einer Helix kann sich durch den gesamten Rezeptor fortpflanzen und so ein Signal in die Zelle hinein senden.

Bernd, André und Herr Höltje haben einen kleinen Disput bezüglich eines Vergleichs zu einer Spule – aber die Diskussion verdeutlicht hoffentlich, wie die Signalweiterleitung in einem Rezeptor funktioniert.

Wie löst sich ein Wirkstoff wieder vom Rezeptor?

Man darf sich dies alles nicht als etwas statisches vorstellen. Die Proteine des Rezeptors und alle anderen Moleküle, besonders Wassermoleküle in der Umgebung, sind in Bewegung und die Kräfte sind nicht so groß, dass ein Wirkstoffmolekül ewig „kleben“ bleiben kann. Ein Wirkstoff bindet in der Regel nicht kovalent an einen Rezeptor.

Es ist sehr wichtig für das Konzept „Leben“, dass diese Besetzung eines Rezeptors durch einen Wirkstoff nur kurzfristig erfolgt. Wirkstoffe sollten über kurz oder lang den Körper auch wieder verlassen oder abgebaut werden, denn der Körper funktioniert eher wie ein komplexes System, das immer wieder reguliert wird und nicht wie eine Maschine bei der ein Schalter eine lange Zeit umgelegt bleibt.

Bernd stellt hier die Frage, wie man dies nutzen kann für die Entwicklung neuer Wirkstoffe.

Blockade eines Rezeptors

Auch die Blockade eines Rezeptors ist möglich, wenn also ein Wirkstoff an einen Rezeptor bindet und keine Aktivierung des Rezeptors auslöst. Man spricht dann entweder von einem Inhibitor oder von einem Antagonisten. Antagonisten sind in der Regel größer als die eigentlich Agonisten, also die Wirkstoffe die den Rezeptor aktivieren. Herr Höltje führt diese Interaktionen genauer aus.

Aktivierung des Rezeptors – im Detail

André fragt nochmal genauer nach bzgl. der Aktivierung eines Rezeptors, da Herr Höltje in der ersten Folge des Wirkstoffradios (WSR001) betont hatte, dass mindestens drei Interaktionen in einem Rezeptor für eine Aktivierung nötig sind. Hier geht Herr Höltje weiter ins Detail und führt einige Beispiele dazu an.

André fragt auch noch nach der Bedeutung der Van-der-Waals-Wechselwirkung, die ihm als Physiker im Hinterkopf sind, wenn es um Wechselwirkungen geht. Herr Höltje sagt dazu, dass die Van-der-Waals-Wechselwirkung keine eigene Kraft ist, sondern eher ein Sammelsurium von Interaktionen, die in einem bestimmten Abstand statt finden. Dazu gehören dann auch die bereits erwähnte Polarisation und Dispersions-Wechselwirkung.

Für wen gilt diese Molekül-Sprache?

Diese Wechselwirkungsarten, die wir angesprochen haben, gelten für alle Moleküle. Im Gespräch haben wir den Sonderfall der Interaktion zwischen Wirkstoff und Rezeptor besprochen, aber grundsätzlich  wurden hier alle wichtigen Wechselwirkungen zwischen allen möglichen Molekülen erwähnt.

Herr Höltje gibt noch ein paar Beispiele für eher spezielle Wechselwirkungen, die auch im Körper statt finden können.

Das Konzept Rezeptor

Zum Abschluss sprechen Bernd und André mit Herrn Höltje über die Anfänge des Konzepts eines Rezeptors. Zuerst erwähnt wurde das Wort Rezeptor in den 1950er Jahren, aber wie Rezeptoren im einzelnen aussehen, weiß man noch nicht so lange. Es gibt hierzu einen kurzen historischen Abriss von Herrn Höltje.

Und ganz am Ende gibt es noch einen kleinen Teaser, worüber Bernd und André sich noch so mit Herrn Höltje unterhalten werden. Dies wird wohl also nicht die letzte Folge gewesen sein, bei der Herr Höltje zu Gast war.


Wir bedanken uns ganz herzlich bei Prof. Dr. Hans-Dieter Höltje für das Gespräch, die Erklärungen und die vielen anschaulichen Vergleiche.

Wir freuen uns immer über Feedback: per Mail unter info@wirkstoffradio.de, in den Kommentaren unter den einzelnen Episoden, über Twitter @wirkstoffradio oder auch als Bewertung bei iTunes oder panoptikum.social.

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André Lampe
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Prof. Dr. Dr. Hans-Dieter Höltje
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