WSR011 Proteinstrukturen aufklären mit der Röntgenkristallographie - Interview mit Dr. Yvette Roske

Dr. Yvette Roske

Bernd und André waren in Berlin-Buch, am Max-Dellbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC), das Teil der Helmholz-Gemeinschaft ist. Dort haben wir Dr. Yvette Roske besucht, um mit ihr über ihre Arbeit an der Strukturaufklärung von Proteinen zu sprechen und wie sie dafür Proteinkristalle herstellt.

Übrigens ist das MDC direkt neben dem FMP, dem Leibniz-Forschungsinstitut für molekulare Pharmakologie, wo wir uns in Folge WSR007 Moleküle Atom für Atom untersuchen mit NMR-Spektroskopie mit Peter Schmieder unterhalten haben.

Kristallographie von Proteinkristallen

Yvette beschäftigt sich vor allem mit der Kristallisation und Struktur von Proteinen. Sie gibt daher zunächst eine kleine Einführung in Kristalle und deren Untersuchung. Eine kurze Liste mit Links dazu:

„Gefischter“ Kristall in einem Nylonschlaufe. Die Länge des Kristalls beträgt ca. 0,2 mm. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Yvette Roske.

Im Bild oben sieht man einen Kristall in einer Nylonschlaufe, der in einen Röntgenstrahl gehalten wird, unter vielen verschiedenen Winkeln. Yvette schrieb uns dazu nach unserem Gespräch:

„Da Röntgenwellen viel feiner (0.1-0.2 nm) als sichtbare Lichtwellen (400-700 nm) sind, kann man mit der Röntgenstrukturanalyse auch einzelne Atome (Abstand im Protein: 0.1-0.3 nm) auflösen. Selbst das beste Lichtmikroskop könnte das aufgrund der Welleneigenschaft des Lichts nicht.

Trifft nun ein Bündel Röntgenwellen auf unseren Kristall, so treffen diese auf die Elektronenhülle der Proteinatome und werden abgelenkt. Da nun die Proteine im Kristall regelmäßig angeordnet sind, wiederholen sich auch die Atome (Abbildung 5). Dadurch werden manche Wellen parallel zueinander abgelenkt und es kommt zur Interferenz, d.h. der Kristall verstärkt den gebeugten Strahl in ganz bestimmten Richtungen und löscht ihn in allen anderen. Somit wirken alle Proteine gemeinsam auf den Strahl ein und wir bekommen ein Durchschnittsbild aller Proteine im Kristall. Da es sich um eine 3-dimensionale Rekonstruktion von dem Protein handelt, müssen viele Bilder von dem Kristall von verschiedenen Winkeln aufgenommen werden, insgesamt einige hundert.“

Ein Beispielbild dieser vielen Aufnahmen könnt Ihr hier sehen:

Ein einzelnes Röntgenbeugungsbild eines Kristalls. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Yvette Roske. Klick für vollständige Größe.

Aus vielen dieser Röntgenbeugungsbilder wird dann im Computer ein Modell der Elektronendichte berechnet, was Rückschlüsse auf die Proteinstruktur zulässt. Dieser Arbeitsschritt ist aber auf keinen Fall trivial oder einfach, sondern bedarf viel Arbeit. Später im Gespräch wieder dieser Schritt der Verarbeitung der Daten genauer besprochen. Eine grafische Darstellung der berechneten Elektronendichte seht ihr auf dem folgenden Bild.

a) Elektronendichte eines Proteins nach der Fourier-Transformation. b) Durch die eingebaute Aminosäurenabfolge des Proteins in die Elektronendichte wird die räumliche Struktur des Proteins bestimmt. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Yvette Roske. Klick für vollständige Größe.

Yvette schrieb uns nach unserem Gespräch dazu:

Wir bekommen somit eine riesige Tabelle mit den Koordinaten und Helligkeiten der Punkte. So bekommen wir ein Bild des Proteins, jedoch im reziproken Raum, welches noch in den echten Raum „umgekrempelt“ werden muss. Der französische Mathematiker Jean Baptiste Joseph Fourier hat dieses Problem jedoch schon 80 Jahre vor Erfindung der Röntgenstrahlung gelöst. Wir wenden also eine Fourier-Transformation an. Nun haben wir ein computergeneriertes Röntgenbild des Proteins – im echten Raum. Genau genommen ist dies ein Bild der Elektronenhüllen der Atome. Wir nennen dies eine Elektronendichte

Weitere Links dazu:

Wozu brauchen wir die Protein-Kristallographie?

Es gibt allein im menschlichen Körper sehr viele verschiedene Proteine, man schätzt ungefähr 500000 bis eine Million verschiedene Proteine. Und längst nicht alle Proteinstrukturen sind bekannt, obwohl sie eine große Rolle bei allen möglichen Vorgängen im Körper spielen, beispielsweise auch bei neurodegenerativen Krankheiten. Deswegen ist Yvettes Arbeit auch ein wichtiger Bestandteil der Forschung an Wirkstoffen.  Ein paar Stichworte dazu:

In der internationalen Protein Data Bank sind aktuell lediglich 150000 Strukturen abgelegt, und das sind nicht nur menschliche Proteine. Über die Protein Data Bank haben wir auch schon in Folge WSR002 gesprochen.

Woher kommt die Röntgenstrahlung für die Protein-Kristallographie?

Dr. Yvette Roske neben einer kleinen Röntgenquelle zur Voruntersuchung von Proteinkristallen im MDC

Yvette erklärt zunächst grundsätzlich wie Röntgenstrahlung erzeugt wird. Für die Analyse von Proteinstrukturen benötigt man deutlich stärkere Röntgenstrahlung als beispielsweise beim Röntgen im Krankenhaus. Für die Röntgenkristallographie gibt es eigens große Beschleunigeranlagen, an denen die Messungen durchgeführt werden. Yvette vermisst ihre Proben meistens am BESSY, das ist kurz für die Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung. Weitere Links dazu:

Die Messung und die Haltbarkeit der Kristalle

Die größte Nylonschlaufe zum Einfangen der Proteinkristalle (es gibt noch viel kleinere).

Yevette berichtet, wie die Probenpräparation und die Vorbereitung auf eine Messung funktionieren. Die Kristalle werden für die Messung (und auch für den Transport) in flüssigem Stickstoff eingefroren. Dabei dürfen sich keine Eiskristalle bilden, da diese die Messung mit ihrer Struktur beeinträchtigen würden. Stichworte dazu:

Aufreinigen des Proteins für einen Kristall

Die angesprochenen Säulen im Gerät zur Aufreinigung der Proteine

Für einen Proteinkristall benötigt man zunächst „pures“ Protein. Yvette erklärt, welche Arbeitsschritte notwendig sind, um dies zu erreichen und wie überprüft wird, ob auch nur das gewünschte Protein am Ende übrig ist. Eine Stichwortliste dazu:

Die Kristallisation von Proteinen

Der Weg vom Protein zum Kristall. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Yvette Roske, Klick für vollständige Größe.

Yvette schreibt dazu:

Die Kristallisation erfolgt in einer Kristallisationsplatte mit 96 einzelnen Kammern (Wells) mit Hilfe der sogenannten Dampfdiffusion. Hier wird die gereinigte und konzentrierte Proteinlösung 1:1 mit der Präzipitationslösung oder Fällungsmittel (Mischung aus verschiedenen Chemikalien) in einem winzigen Tropfen (0,4µl) gemischt, der in einer erhöhten Mulde sitzt (im Bild oben: a) und b)).

In einem größeren, tiefer sitzenden Reservoir befindet sich nur die Präzipitationslösung. In einem abgeschlossenem System tritt aufgrund der geringeren Fällungsmittelkonzentration im Gemisch mit dem Proteintröpfchen ein Transport von Wassermolekülen in Richtung dem größeren Reservoir ein (Pfeile in b). Dadurch erhöht sich die Proteinkonzentration im Tropfen und auch die Konzentration der anderen Stoffe, die ebenfalls im Tropfen vorhanden sind. Die Proteinmoleküle rücken also immer dichter zusammen bis es zur Bildung von einem Kristallisationskeim kommt (c) aus dem nach einigen Tagen bis Wochen durch weitere regelmäßige Anordnung der Proteinmoleküle ein größerer einzelner Proteinkristall entstehen kann (d).

Pipettierroboter im Labor von Dr. Yvette Roske

Leider ist die Kristallisation eines Proteins nicht planbar. Ein Protein kristallisiert nur in einer oder ein paar wenigen ganz bestimmten Präzipitationslösungen. Da zur Kristallisation von Protein immer noch viel Glück gehört, versucht man durch das Verwenden von hunderten Kombinationen verschiedener Präzipitationslösungen die richtige Kristallisationsbedingung zu finden. Dabei ist der Einsatz von Pipettierrobotern, welche die Protein-/Fällungsmitteltropfen in eine 96-Well Kristallisationsplatte (im Bild oben: a) setzen, von großer Bedeutung. Somit ist jeder erhaltene Proteinkristall eine wertvolle Sonderanfertigung.“

Dr. Yvette Roske vor einem Lagerroboter für die Kristallisationsplatten

Die Platten mit den verschiedenen Ansätzen werden dann von einem Lagerroboter verwaltet und in regelmäßigen Abständen vermessen. Dabei macht eine Kamera Bilder von jedem einzelnen „Well“, also jeder einzelnen Mulde, in der ein Tropfen liegt, in dem hoffentlich bald ein Proteinkristall wächst.

Yvette hat uns freundlicherweise, im Anschluss an unser Gespräch, Bilder zur Verfügung gestellt, die der Lagerroboter vollkommen automatisch von den Kristalisationsplatten anfertigt. Sie ist im MDC auch für diese Geräte die Verantwortliche.

Übersicht der 96 Tropfen in einer Kristallisationsplatte, jeweils bestehend aus einer 1:1 Mischung Proteinlösung und Präzipitationslösung. Einzelne Tropfen enthalten Proteinkristalle (D8, G1). Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Yvette Roske. Klick für vollständige Größe
Vergrößerte Ansicht der einzelnen Tropfen der Wells D8 und G1, welche Proteinkristalle enthalten. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Yvette Roske. Klick für vollständige Größe.

Wie und warum bilden sich Protein-Kristalle?

Dass überhaupt etwas kristallisiert, ist ein Prozess der spontan abläuft, wenn alle nötigen Randbedingungen erfüllt sind. Yvette stellte uns auch eine Abbildung zur Verfügung, um die Struktur innerhalb eines Protein-Kristalls besser zu verstehen:

Packung von Proteinen in einem Kristall. Da ein Protein zu klein ist, um es zu sehen, fügen wir Millionen bis Milliarden Proteinmoleküle zu einem Kristall zusammen. Ein Kristall ist also eine dreidimensional periodische Anordnung von einzelnen Proteinmolekülen und ist nun unter dem Mikroskop sichtbar. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Yvette Roske. Klick für vollständige Größe

Ein paar Stichworte dazu:

Der Lagerroboter, wie er automatisiert Bilder der Kristalle macht.

Die Nylonschlaufe zum Einfangen der Kristalle

Nylonschlaufe neben einem Kristall

Weiter oben ist bereits ein Foto zu sehen, wie André eine der größten Nylonschlaufen hoch hält. Diese Schlaufen können bis zu 50 µm klein sein und halten den Kristall zusammen mit etwas Flüssigkeit.

Diese frisch gefangenen Kristalle werden zunächst direkt im Labor an der „kleinen Röntgenquelle“ von der es weiter oben auch ein Bild gibt, charakterisiert. Erst dann werden Vorbereitungen getroffen, die Kristalle so zu verpacken, dass sie zu Anlagen wie dem BESSY in Berlin-Adlershof transportiert werden können.

Wie bereitet man die Kristalle für den Transport vor?

Dr. Yvette Roske mit den Transportbehältern, in denen die Kristalle in flüssigem Stickstoff lagern können.

Wenn die Messung am BESSY in Berlin statt findet, werden die Proben meistens von Yvette selbst mit dem Auto zur Einrichtung gefahren. Die Kristalle werden eingefroren und in flüssigem Stickstoff gelagert.

Yvette erzählt einige Erlebnisse, wie sie auch schon einmal versucht hat ,mit den Proben in einer „Thermoskanne“ ein Flugzeug zu betreten.

Mittlerweile werden die Proben immer mit speziellen Transportdienstleistern versandt, wenn Messungen außerhalb von Berlin gemacht werden.

Die Grenzen der Kristallisation, Yvettes Arbeit und die Auflösung

Yvette erzählt uns von den möglichen Schwierigkeiten und Grenzen. Sie erwähnt dabei auch das von ihr bisher größte charakterisierte Protein p97. Hier findet Ihr den Eintrag dazu in der Protein Data Bank.

Noch ein paar Stichworte dazu:

Wie Yvette anderen Wissenschaftler*innen hilft

Dr. Yvette Roske zeigt André ein paar Details der Auswertung

Wissenschaftler*innen können am MDC die Einrichtungen benutzen, die von Yvette betreut werden. Da aber die Vorbereitungen und der Auswertungsprozess durchaus anspruchsvoll sind, kooperiert Yvette häufig mit anderen Forschenden. Die verwendete Software zur Auswertung kommt aus der Wissenschafts-Community selbst und ist in der Regel open source.

Yvette erzählt dabei auch nochmal ausführlicher vom Protein p97. Online kann man sich ihre Messdaten dazu anschauen, beispielsweise die Elektronendichte von p97, und zwar interaktiv.

Yvettes Werdegang

Die Geräte und Strukturen für die Kristallographieim MDC hat Yvette konzipiert und aufgebaut. Sie macht auch die Wartung der Geräte und mag es auch zum Schraubendreher zu greifen. Von der Ausbildung her ist sie Elektrikerin und hat später dann Biotechnologie studiert. Schon früh in ihrem Studium war sie begeistert von der Kristallographie und sie hat deshalb auch am MDC mit ihrer Doktorarbeit angefangen. Seit dieser Zeit arbeitet sie auf dem Campus in Berlin Buch.

Dr. Yvette Roske erklärt André etwas über die verschiedenen Phasen der Kristallisation

Yvettes Lieblingsmolekül/Lieblingsprotein

Besonders am Herzen liegt ihr das p97 Protein, das weiter oben auch bereits verlinkt ist. Yvette gefällt aber auch das TasA Protein, das sie aus einem anderen Projekt kennt, welches sich mit Biofilmen beschäftigt.

Räumliche Struktur des Proteins TasA. TasA ist ein Protein aus Bacillus subtilis, welches eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung von Biofilmen spielt. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Yvette Roske.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Dr. Yvette Roske für Ihre Zeit, die Tour durch die Labore, das ganze Material, das sie uns zur Verfügung gestellt hat, und all die Fakten und Anekdoten, die sie uns erzählt hat.

Wir freuen uns immer über Feedback: per Mail unter info@wirkstoffradio.de, in den Kommentaren unter den einzelnen Episoden, über Twitter @wirkstoffradio oder auch als Bewertung bei iTunes oder panoptikum.social.

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André Lampe
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Dr. Yvette Roske
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